Augen auf und durch

Der coronabedingte Shutdown hat viele Gastronomen vor große Herausforderungen gestellt, sie aber auch neue Wege einschlagen lassen, um die Krise zu durchtauchen.

Augen auf und durch

Nachgefragt: Gastro-Stimmen zur Corona-Krise

Die Corona-Pandemie hat die österreichische Gastronomie mit voller Härte getroffen, sie hat aber auch gezeigt: Einige aus der Not geborenen Strategien haben sich als probate Mittel erwiesen, um die Krise zu durchtauchen. Zwei Beispiele aus der Wiener Gastro-Szene.


Nach acht Wochen, in denen Kreidetafeln mit der Aufschrift „Wegen Corona bis auf Weiteres geschlossen“, verwaiste Gasträume und leere Schanigärten das Stadt- und Landschaftsbild prägten, suchen heimische Gastronomen seit 15. Mai den Weg zurück in die Normalität. Es ist ein Weg, auf dem jedenfalls auch weiterhin viel Eigeninitiative, Flexibilität und Durchhaltevermögen gefragt sein werden. Wir haben mit Gastronom Martin Pichlmaier und Küchenchef Roman Wurzer darüber gesprochen, wie sie trotz Krise versucht haben, ihre Gäste glücklich zu machen, wie sie die Wochen seit dem Reopening erlebt haben und was ihnen mit Blick auf die nahe Zukunft Mut macht.

Martin Pichlmaier:
Pichlmaiers zum Herkner, Wien

2016 erweckte Gastronom Martin Pichlmaier gemeinsam mit seiner Frau das altehrwürdige Gasthausjuwel Herkner am idyllischen Stadtrand von Hernals mit viel Liebe zum Detail und einem klaren Bekenntnis zur gehobenen, traditionellen Wiener Küche wieder zum Leben. Bis zum Lockdown ein beliebter kulinarischer Hotspot für Grätzelbewohner und Stadtflüchtige, wurde es Mitte März auch beim Herkner (fast ganz) still. Zum Re-Opening am 18. Mai machten die Pichlmaiers dafür mit einem großen Frühlings-Dinner und Weinen vom Weingut Primus aber umso deutlicher klar: Wir sind wieder da – und gekommen, um zu bleiben.

TG: Herr Pichlmaier, wie haben sie die Tage rund um den Gastro-Lockdown am 17. März erlebt?

MP: Es waren ja schon am Wochenende vor der offiziellen Ankündigung, dass alle Gastrobetriebe schließen müssen, Gerüchte im Umlauf – auch jenes, dass man nur mehr bis 15 Uhr offen halten darf. Insofern war für uns schnell klar: Es ist gescheiter, wir sperren gleich ganz zu, denn wir machen unser Hauptgeschäft abends. Aber dass einem angesichts so einer Situation auch alles andere als angenehme Gedanken durch den Kopf gehen, versteht sich von selbst.

TG: Wie zum Beispiel?

MP: In erster Linie natürlich die Frage, wie wir diese Krise finanziell stemmen können. Wobei die sich nach einer kurzen Schockstarre eigentlich recht schnell von selbst beantwortet hat: Wir haben keine hohe Eigenkapitalquote, werden demgemäß auch keine großen Überbrückungskredite erhalten. Löhne für die Mitarbeiter, die wir in Kurzarbeit geschickt haben, müssen vorgestreckt werden. Das sind Tatsachen, die einem auch Angst machen. Sie haben uns aber andererseits auch extrem angespornt, uns zu überlegen, wie wir möglichst schnell das Beste aus alledem machen können.

TG: Welche Angebote haben Sie während des Lockdowns im Herkner etabliert?

MP: Wir haben eine eigene Take-Away-Karte mit klassischen Gerichten wie Krautfleisch oder Rieslingbeuschel, die man zu Hause einfach nur mehr aufwärmen muss, geschrieben und dann ab der Karwoche einen Abholservice und einen Lieferservice für die Bezirke 16, 17, 18 und 19 angeboten. Die Karte hat natürlich jede Woche gewechselt, beworben haben wir das To-Go-Angebot über Facebook, Instagram und unseren Newsletter.

TG: Bieten Sie diese Services auch jetzt, da Sie ja wieder Gäste vor Ort bewirten dürfen, noch an?

MP: Den Abholservice ja, den Lieferdienst nicht. Was aber nicht daran liegt, dass der so schlecht angenommen worden wäre, ganz im Gegenteil. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass das Interesse der Gäste so groß war. Wir hatten an normalen Tagen zwischen 80 und 100 Bestellungen, wochenends und rund um Ostern teilweise bis zu 400.

TG: Worauf führen Sie diese positive Resonanz zurück?

MP: Wir haben glücklicherweise rund 90 Prozent Stammgäste und deren Loyalität ist von unschätzbarem Wert. Dazu kommt, dass wir in einer Wohngegend positioniert sind und weit mehr Menschen aus dem Grätzl und den angrenzenden Bezirken zu uns kommen als Touristen. Da haben es Lokale in der Stadt, die viel touristische Laufkundschaft haben, sicher schwerer gehabt.

TG: Wie hat sich das Geschäft seit dem Re-Opening entwickelt?

MP: Die ersten beiden Wochen liefen für uns wirklich großartig. Am ersten Wochenende nach der Wiedereröffnung waren wir ausgebucht, auch die Stimmung war überwältigend positiv. Man hat gespürt, wie sehr sich die Leute darüber freuen, endlich wieder in einem Restaurant zu sitzen, zu essen, ein gutes Glas Wein zu trinken. Auch während der von Culinarius organisierten Gastro-Reopening-Woche von 25. bis 31. Mai hatten wir volles Haus. Das macht natürlich Mut und motiviert, aller Umstände zum Trotz.

TG: Apropos Umstände: Wie stehen Sie den aktuell geltenden Maßnahmen in der Gastronomie gegenüber?

MP: Ganz grundsätzlich: Ich bin überzeugt davon, dass die Maßnahmen, die beschlossen wurden, zum Schutz unser aller Gesundheit wichtig und richtig waren. Die Mund-Nasen-Schutzmaskenpflicht für das Servicepersonal ist sicher ein bissl lästig, aber wir können Gott sei Dank mit ganz speziellen Plexiglas-Masken arbeiten, die am Kinn aufliegen und unter denen man noch atmen kann.

TG: Gibt es Bereiche, in denen Sie sich eine andere Vorgangsweise seitens der Politik gewünscht hätten?

MP: Sicher gibt es auch die eine oder andere Bestimmung, die man in Frage stellen darf, etwa die Vierertisch-Regel. Ich persönlich hatte gehofft, dass die schneller aufgehoben wird, denn uns treffen fehlende Geburtstagsrunden oder Hochzeiten natürlich besonders hart. Aber es bringt auch nichts, nur zu schimpfen. Das sag ich auch meinen Mitarbeitern dauernd. Wir müssen uns halt jetzt selber helfen und das ist okay so. Wir erhalten enorm viel Zuspruch, wir sind motiviert und wir werden das schaffen.

Roman Wurzer:
Küchenchef im Lingenhel, Wien

Seit 2016 führt Johannes Lingenhel in Wien eine Genussadresse, die in dieser Form österreichweit einzigartig ist: In den Räumlichkeiten eines Biedermeierhauses auf der Landstraße vereint er im Lingenhel Delikatessengeschäft, Weinbar, Restaurant und Wiens erste Stadtkäserei unter einem Dach. Seit März 2020 steht der Küche Roman Wurzer vor, der zuletzt im „Sky Restaurant“ im Steffl eindrucksvoll unter Beweis stellte, wie fabelhaft er sein Handwerk beherrscht. Aus der geplanten Vorstellung der ersten Wurzer-Karte wurde coronabedingt nichts, Stillstand war im Lingenhel aber trotzdem nicht angesagt.

TG: Herr Wurzer, gehen wir richtig in der Annahme, dass Sie sich Ihren Amtsantritt in der Lingenhel-Küche im März ein bisschen anders vorgestellt haben?

RW: (lacht) Kann man so sagen! Ich habe ja schon seit Mitte Februar an der neuen Karte gearbeitet, mit der wir eigentlich am 15. März offiziell starten wollten. Aber rumsitzen und abwarten, das ist nicht mein Ding und das von Johannes schon gar nicht. Also haben wir geschaut, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten möglichst rasch in die Gänge kommen und unsere Gäste trotz Lockdown nicht nur mit den Delikatessen aus der Greislerei, die ja offen halten durfte, sondern eben auch mit Gerichten aus der Lingenhel-Küche glücklich machen können.

TG: Wie genau sah denn dieser gastronomische Plan B aus?

RW: Wir haben mehr oder weniger sofort Mittagsmenüs von 11 bis 15 Uhr als Takeout angeboten. Ich habe mich dabei auf Gerichte konzentriert, die gut vorzubereiten sind, nicht zu elaboriert, aber trotzdem raffiniert. Es sollte für jeden was dabei sein, das wirklich Freude macht – egal, ob das jetzt Schinkenfleckerl mit Thum-Schinken oder Spargel im Schmorfond mit Kerbelerdäpfel und Lauchöl sind. Außerdem haben wir unter anderem die Öffnungszeiten der Greisslerei ausgeweitet, zu Ostern gab’s natürlich auch ein Special. Wir haben an wirklich vielen verschiedenen Schrauben gedreht, um halbwegs gut durch diese Zeit zu kommen.

TG: Wie haben die Gäste auf das Lingenhel Krisen-Care-Package reagiert?

RW: Das Takeout-Service ist sehr schnell sehr gut angelaufen. Man hat gespürt, wie dankbar die Leute sind, dass wir so einen Service anbieten. Denn auch, wenn viele Menschen in so einer Situation eigentlich viel Zeit hätten, um selbst daheim zu kochen: Man will sich trotzdem etwas gönnen oder einfach einmal ein Gericht ausprobieren, das man sich daheim nicht selbst zubereiten würde.

TG: Ihr habt euch kurz vor Inkrafttreten der ersten Lockerungen am 15. Mai ja zusätzlich auch noch ein kleines Special namens #hauben2go einfallen lassen …

RW: Wir hatten – beziehungsweise haben noch immer – abends nicht geöffnet, wollten den Gästen aber die Möglichkeit bieten, trotzdem in den Genuss eines anspruchsvollen Menüs zu kommen. Das Konzept sah, kurz umrissen, so aus: Es gibt täglich zwei Gerichte, deren vakuumverpackte Komponenten so weit vorbereitet sind, dass sie zu Hause ganz einfach fertig gestellt oder nur warmgemacht werden müssen, detaillierte Anleitung inklusive.

TG: Wie war das Feedback?

RW: Die Idee ist nicht so gut angekommen, wie erhofft, weshalb wir uns davon auch recht bald wieder verabschiedet haben. Ich glaub, gerade für genussaffine Menschen, die gern, oft und viel auswärts essen gehen, macht es am Ende eben doch einen großen Unterschied, wo sie essen, nicht nur was sie essen. Das Takeout-Angebot gibt es aber nach wie vor.

TG: Wie genau gestaltet das Lingenhel die Restart-Phase seit 15. Mai?

RW: Wir bieten aktuell unseren Brunch an – der übrigens wirklich fantastisch angenommen wird – und haben zu Mittag offen, abends aber noch geschlossen. Testweise haben wir am 28. Mai mit Lingenhel Unplugged Vol 1. unsere erste Abendvorstellung gegeben, mit zwei Seatings, von 17 bis 19.30 Uhr und von 20 bis 22 Uhr. Da Lingenhel Unplugged super funktioniert hat, werden wir diese Abende wiederholen, um so in die geplante Normalität zurück zu finden. Details dazu gibt’s auf unserer Homepage.

TG: Warum ist eine reguläre Abendöffnung noch kein Thema?

RW: Wir sind da lieber vorsichtig, anstatt etwas zu überstürzen. Es bringt ja nichts, jetzt gleich in die Vollen zu gehen und dann passt die Frequenz nicht. Die schwankt noch, was sich auch im Mittagsgeschäft widerspiegelt. Da schicken wir mal 10, mal 30 Gerichte. Hinzu kommt, dass wir aktuell ja statt 45 nur 18 bis 20 Sitzplätze besetzen können. Und wir sind noch in Kurzarbeit, deshalb müssen wir auch die möglichen Arbeitsstunden der Leute im Team berücksichtigen.

TG: Am 15. Juni treten die nächsten Lockerungen in der Gastronomie in Kraft. Was erwarten Sie sich für den Sommer 2020?

RW: Wir sind grundsätzlich positiver Dinge, weil viele Gäste und Stammgäste – und die machen bei uns rund 80 Prozent aus – schon jetzt dauernd fragen, wann wir endlich auch wieder abends aufmachen und in gewohnter Manier durchstarten. Dass die Vierertisch-Regel fällt, wird für uns sicher eine große Erleichterung sein, denn größere Gästegruppen sind für uns finanziell schon relevant – vor allem jene, die Käsekurse bei uns machen.

Weitere Informationen unter:
Website Pichlmaiers zum Herkner
Facebookseite Pichlmaiers zum Herkner
Website Lingenhel
Facebookseite Lingenhel

©Fotos Lingenhel: Christof Wagner / Helmut Spudich 

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