
Multi-Entrepreneur, Hotelier, Spitzenkoch, Kochbuchautor: Der Name Toni Mörwald ist hierzulande längst eine Trademark. Wir haben den Grandseigneur der österreichischen Gastronomie zum Gespräch über Essen und Genuss als zentrales Element menschlichen Daseins, gesunden Druck und den Mut, loszulassen, getroffen.
Es ist ein heißer Junivormittag in Feuersbrunn am Wagram, Toni Mörwald empfängt in der Lobby seines Relais & Châteaux Hotels am Wagram. „Hallo, ich bin der Toni“, sagt Mörwald zur Begrüßung, fester Händedruck, wache Augen, „will wer was zum Trinken? Wasser?“ Kurzer Blick zur Bar, wo Restaurantleiter Daniel Rakic steht. „Kannst du den Herrschaften bitte ein Wasser bringen, Daniel? Danke.“ Im gefühlten Sekundentakt eilen Mitarbeiter an uns vorbei, Mörwald kennt jeden Namen, hat für jeden ein knappes, aber freundliches „Na, wie geht’s, alles in Ordnung?“ übrig. Geschirr klappert, es riecht nach frischem Kaffee und Brot, Mörwald serviert das Wasser selbst an den großen, runden Tisch am Aufgang zur Terrasse. Er sagt: „Genuss ist ja so ein Wort, das mittlerweile ein bisschen missinterpretiert wird, weil auch ein Glas Wasser kann Genuss sein. Wasser hat Geschmack, und wenn es die richtige Temperatur hat und im richtigen Glas serviert wird und man sich gut unterhält, dann ist ein Glas Wasser nicht weniger Genuss als ein 5-Gänge-Menü.“ Er spricht schnell, aber konzentriert, das Handy klingelt, Mörwald schaltet auf stumm, seine Frau Eva biegt ums Eck, irgendwas wäre noch schnell abzuklären, bitte. Mörwald entschuldigt sich, drei Minuten später ist er wieder da, in den folgenden 50 Minuten werden noch viele Menschen vorbeikommen und etwas brauchen, aber Mörwald bleibt jetzt sitzen, Gesprächszeit ist schließlich auch Lebenszeit.
Im Sekundentakt eilen Mitarbeiter an uns vorbei, Mörwald kennt jeden Namen, hat für jeden ein knappes, aber freundliches Wort übrig.

Viele der 200 Mitarbeiter des Unternehmens Mörwald sind seit Jahren Mitglieder des Teams. So wie Restaurantleiter Daniel Rakic.
Herr Mörwald, wie findet jemand, der 40 Jahre am Herd steht und so viele verschiedene Gastronomie-Projekte wuppt, das Gleichgewicht zwischen Disziplin und Freude?
Mörwald: Mir geht das, was ich tue, nicht auf die Nerven, ich mach das wirklich gerne. Insofern mach ich mir auch übers Gleichgewicht nicht so viele Gedanken. Man sollte grundsätzlich immer das tun, was einem selbst taugt, kochen, was einem selbst schmeckt und womit man selbst eine Freude hat. Jetzt steh ich nicht jeden Tag hinter dem Herd, ich hab ein Auge auf alles, aber ich konzentriere mich eher darauf, neue Projekte voranzutreiben. Und wenn man für klare Strukturen in einem Unternehmen sorgt, schafft man sich Freiräume und verliert bei allem, was im Alltagsgeschäft halt so zu erledigen und zu managen ist, nicht den Spaß an der Freud. Und hat keinen Stress … Wobei das ist ja für mich ein Unwort.
Was stimmt denn mit dem Wort nicht?
Mörwald: Das Wort wird meiner Meinung nach missbraucht. Ich sag lieber Druck, wobei Druck für mich und bei uns im Unternehmen nichts Negatives, sondern etwas Positives ist. Weil Druck erzeugt Gegendruck, Gegendruck erzeugt Bewegung, und Bewegung ist gesund.
Die hohe Belastung und den Druck in der Spitzengastronomie würden jetzt wahrscheinlich nicht viele Menschen als gesund bezeichnen …
Mörwald: Natürlich ist die Spitzengastronomie ein enorm belastendes und arbeitsintensives Geschäft, das steht außer Zweifel. Aber ich glaube, gerade in Führungspositionen – egal ob in der Küche oder im Service – ist es wichtig, Prioritäten zu setzen, damit der Druck eben nicht ungesund wird. Nur, wenn man lernt, loszulassen und anderen Verantwortung zu übertragen, kann man Dinge auch positiv vorantreiben.

Können Sie das? Loslassen?
Mörwald: Kann ich, und muss ich ja auch, wie sollte das Unternehmen sonst funktionieren? Ich hab in jedem Restaurant einen eigenen Küchenchef, hier in Feuersbrunn etwa den Phillip Hagenauer, und alle wichtigen Positionen sind bei mir mit Leuten besetzt, auf die ich mich zu 100 Prozent verlassen kann. Die Qualität, Tempo und Kostenmanagement im Blick haben. Leute, die sich aufs Wesentliche konzentrieren, die effizient arbeiten, die mit Abläufen und einem gewissen Rhythmus kein Problem haben. Und die geerdet sind. Erdung ist enorm wichtig, vor allem für Köche.
Warum gerade für die?
Mörwald: Der Kochberuf wird ja seit einigen Jahren unglaublich hochgejazzt, das finde ich ein bisschen schwierig. Da wird vor allem dem Nachwuchs eine glamouröse Realität vorgegaukelt, die es so nicht gibt. Ich bin deshalb schon sehr dahinter, dass alle Menschen, die wir hier ausbilden und die bei uns arbeiten, verstehen, dass es nicht nur Fine Dining gibt. Die müssen einen guten Knödel oder ein gutes Beuschel oder eine Sachertorte genauso hinbringen. Nur Teller tätowieren reicht halt nicht. Zumindest nicht in unseren Küchen und nicht, wenn man Teil eines Teams sein möchte, das die Werte der Marke Mörwald transportiert.
Was zeichnet die Marke Mörwald aus?
Mörwald: Genuss, Geschmack und Geselligkeit. Das sind unsere Kernwerte, und die leben wir seit 30 Jahren in jedem Betrieb, egal, ob hier im Hotel oder im Restaurant in Grafenegg oder in Wien oder sonst wo.

In seiner Küche vereint Toni Mörwald Elemente der klassisch-französischen und internationalen Küche mit österreichischen Akzenten. Produktqualität geht ihm dabei über alles, in die Küche kommt nur, was den hohen Qualitätsansprüchen gerecht wird. In diesem Fall Reh vom Wagram, Senfkohl, Morcheln und Heidelbeeren.
Ein schöner Wertekanon, der aber auch mit Leben erfüllt werden will …
Mörwald: Natürlich! Und uns gelingt das auch, weil wir etwas für unsere Gäste schaffen, das Freude, Begehrlichkeit, Zufriedenheit, Geschmack und Emotionen verbindet. Weil seien wir uns doch ehrlich: Was wir machen, braucht die Menschheit in Wahrheit nicht, zumindest nicht zum Überleben. Aber was die Menschen schätzen und suchen und wollen, sind Erlebnisse und Emotionen, die über das Alltägliche hinausgehen. Geschmäcke, die sie noch nicht kennen, Produkte, die sie sonst nirgendwo bekommen. Und Zeit, Essen zu zelebrieren. Diese Möglichkeit geben wir ihnen. Und ich finde, die Spitzengastronomie muss diesen Platz beanspruchen. Gerade heute, wo die meisten Unternehmen sogar schon die Mittagspause für ihre Mitarbeiter wegrationalisiert haben und die Menschen im Alltag eh so gut wie nie in guter Gesellschaft bei einem guten Essen in Ruhe zusammensitzen. Essenszeit ist Lebenszeit.
Das Motto Ihres Lebens …
Mörwald: Absolut. Weil wann, wenn nicht zum Essen und zum Trinken, setzen wir uns an einen Tisch, hören zu, plaudern? Essen und Trinken ist ja nicht nur Kalorienzufuhr, sondern ein zentrales Element unseres Zusammenlebens, und Genuss und Geselligkeit etwas, das wir in unserem täglichen Leben verankern müssen. Dabei spielt übrigens meiner Meinung nach auch die Politik eine Rolle.
Inwiefern?
Mörwald: Wenn sich die Politik nicht drum kümmert, wie sich die Menschen in einem Land ernähren, darf man sich über die Auswirkungen, vor allem die auf die Gesundheit der Bevölkerung, nicht wundern. Das ist ein Aspekt. Der andere ist: Wenn der Bundeskanzler und eine Ministerin im Schweizerhaus in Wien essen gehen und sich dafür dann im Parlament rechtfertigen müssen, dann finde ich das absurd.

Lassen Sie uns kurz über Ihre Küche sprechen. In Ihren Gourmetrestaurants räumen Sie internationalen Edelprodukten und auch in der Spitzenküche mittlerweile latent in Verruf geratenen Produkten wie Gänseleber unbeirrt viel Platz ein. Darf man sich das in Zeiten wie diesen noch rausnehmen?
Mörwald: Ich war immer ein Verfechter der Klassik, und das wird sich auch nie ändern. Und ein Wolfsbarsch oder Gänseleber sind großartige, tolle Produkte! Sicher hatte ich hier auch schon Vertreter von den Vier Pfoten sitzen, aber was soll ich sagen: Die machen ihr Ding, ich mach meines. Ich will halt das beste Produkt, und wenn das aus Frankreich kommt, dann nehm ich es. Wenn du als Koch keine Produktaffinität hast, nützt dir auch das beeindruckendste Chichi nichts. Der Gast merkt auch, wem Produktqualität ein Anliegen ist und wem nicht. Wenn dir als Koch die innere Qualität fehlt, an dich selbst den Anspruch zu haben, das wirklich Allerbeste für deine Gäste zu geben, dann ist das schade. Und selbstverständlich kann das Beste auch aus der Region kommen. In der Markthalle bieten wir ja beispielsweise ausschließlich Produkte von unseren regionalen Lieferanten an, die allesamt in der Oberliga spielen.
Der Delikatessenladen im Ort, den Sie im November 2020, quasi mitten im Lockdown, eröffnet haben?
Mörwald: Ja, und das war auch sinnvoll und richtig so! Weil unsere Lieferanten und Produzenten wussten plötzlich nicht, wohin mit der ganzen Ware, und wir wollten sie nicht hängen lassen. Das alte Kaufhaus im Ort hatten wir schon vor einiger Zeit gekauft, also haben wir uns gesagt: Gut, machen wir eine Markthalle draus.
Sicher nicht Ihr letztes Projekt, wie ich annehme?
Mörwald: Ich kann ja keine Ruhe geben, und mir macht es unendlich viel Spaß, an den vielen kleinen und immer neuen Bausteinen unter dem Mörwald-Dach herumzubasteln. Den Bereich Logis werden wir definitiv noch weiter ausbauen. Und wir haben im Ort ja auch verschiedene Häuser gekauft, das alte Postamt beispielsweise. Diese Gebäude und damit den ganzen Ort wollen wir beleben. Ich bin sicher, da fällt uns was ein.

Toni Mörwald, 54
Wuchs im von Erika und Anton Mörwald geführten Gasthaus „Zur Weintraube“ in Feuersbrunn auf, lernte sein Handwerk unter anderem bei Reinhard Gerer und übernahm 1989 schließlich das Gasthaus »Zur Traube« von den Eltern. Die erste GaultMillau-Haube erkochte Mörwald in seinem Gourmet-Stüberl „Toni M.“, das 2005 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Zwischenzeitlich führte Mörwald hochdekorierte Restaurants wie das »Kloster Und«, aktuell hat er die Patronanz über das (zurzeit geschlossene) Gourmetrestaurant „Le Ciel“ in Wien über und betreibt neben dem Stammhaus mit den Restaurants Relais & Châteaux Gourmet „Toni M.“, Relais & Châteaux Restaurant „Zur Traube“ und dem Wirtshaus zwei Hotels in Feuersbrunn, das Romantik Restaurant und Schlosshotel in Grafenegg, das Kochamt im Wiener Palais Ferstl, einen Delikatessenladen, eine Kochschule, eine Cateringfirma und ist Autor zahlreicher Kochbücher.

©Fotos Transgourmet/Christian Maislinger
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