Fischer for Compliments

In St. Gilgen am Wolfgangsee zeigt der erst 25-jährige Stefan Fischer in seinem Restaurant Atelier eindrucksvoll, wie fantastisch jugendlicher Freigeist und ausgereifte Präzision zusammenpassen können.

Fischer for Compliments

Zu Besuch bei Stefan Fischer

In St. Gilgen am Wolfgangsee zeigt der erst 25-jährige Stefan Fischer in seinem Restaurant Atelier eindrucksvoll, wie fantastisch jugendlicher Freigeist und ausgereifte Präzision zusammenpassen können.

Wenn ein Gast während des Essens einen Nervenzusammenbruch erleidet, hat das natürlich nicht zwingend etwas mit der Performance der Küche oder des Servicepersonals zu tun. Ist aber nicht ausgeschlossen. „War auch so, kein Scherz!“, erzählt Stefan Fischer von dem Tag, an dem eine Dame im Zuge des Abendservice in Tränen aufgelöst vom Sessel im Gastraum seines Restaurants Atelier in St. Gilgen rutschte. Der Schock, beeilt sich Fischer zu ergänzen, sei im ersten Moment natürlich groß gewesen, habe dann später aber in Freude umgeschlagen. Denn wie sich herausstellen sollte, lagen die Nerven beim Gast nur blank, weil das, was da aus der Küche daherkam, im wahrsten Sinne des Wortes überwältigende Glücksgefühle ausgelöst hatte.

„Als ich das Atelier aufgemacht habe, hatten wir anfangs kaum Reservierungen. Dann holten wir bei der ersten GaultMillau-Bewertung gleich drei Hauben, seitdem ist das kein Thema mehr.“

Stefan Fischer

Zu ebener Erde und erster Stock

Wenn man in St. Gilgen auf den gelb-weiß getünchten Pavillon an der Seepromenade zusteuert, deutet zuerst einmal wenig darauf hin, dass hinter den Mauern des ehemaligen Papageno am See Menschen vor lauter Freud am Essen die Nerven wegschmeißen.

Auf der Terrasse im Erdgeschoss werden Pasta, Steaks, Eisbecher und Kaffee mit Kuchen serviert, möglicherweise auch alles zum Ausflippen gut, aber 16 Gault-MillauPunkte-drei Hauben-gut wird’s, wenn man die Treppe in den ersten Stock nimmt. Dort hat sich Stefan Fischer, der das Lokal vor vier Jahren von seinen Eltern übernahm, seine eigene kleine Kreativwerkstatt aufgebaut. Auf die Frage, wie das denn bei den Stammgästen angekommen sei, dass im Traditionspavillon mit Italo-Einschlag abends plötzlich Gerichte wie knusprig gebratene Foiegras mit schwarzer Nuss, Getreide, Honig und Brombeere oder Duroc-Schwein mit äthiopischem Blattkohl, Doldenblüten, Chorizo und Trüffelsauce über den Pass gingen, antwortet der Chef de Cuisine erfrischend ehrlich: „Na ja, mit dem, was wir hier machen, wollte ich die Stammgäste ja nicht vergraulen, eher umerziehen. Bei einigen wenigen hat das auch geklappt, bei vielen nicht. Deshalb waren wir im ersten Jahr auch ziemlich leer, aber seit wir vor zwei Jahren auf Anhieb drei Gault-Millau-Hauben bekommen haben, läuft’s super.“

Gipfelsturm und Seefestspiel

Da wären wir auch schon beim Kochen. Die Leidenschaft dafür, sagt Stefan Fischer, sei bei seiner ersten Stelle unter Küchenchef Manfred Stüfler und mit Unterstützung von Hoteldirektorin Armie-Angélique Weinberger im Hotel Sacher in Salzburg so richtig entflammt. „Die Berufsschule in Kleßheim hab ich nach einem Jahr geschmissen, das Theoretische war irgendwie noch nie mein Ding“, sagt er schüchtern grinsend.

Für Stefan Fischer liegt der größte Reiz in der permanenten kulinarischen Grenzüberschreitung. Ausloten, was geht, machen, was sonst keiner macht.

„Aber mein Vater, der selbst viele Jahre Serviceleiter auf der MS Europa war, hat gemeint: Du kannst in der Gastronomie nur Fuß fassen, wenn du die Basics draufhast. Und die hab ich im Sacher mitbekommen.“ Nach vier Jahren im ehrwürdigen Haus an der Salzach und dem Titel „Mitarbeiter des Jahres“ zog es den heute 25-Jährigen ins Restaurant Ikarus zu Roland Trettl, es folgten ein Gastspiel bei Andreas Döllerer in Golling und ein Internship im Oaxen Krog in Stockholm.

Seit 2019 wuppt Fischer im Winter die mit drei Gault-Millau-Hauben dekorierte Küche des Hotels Seekarhaus in Obertauern, im Sommer ist das Haus am Wolfgangsee seine Bühne. In Sachen Teamgröße und Küchenmanagement seien das wohl zwei komplett verschiedene Welten, betont Fischer. Kreativ austoben und produktseitig aus dem Vollen schöpfen könne er glücklicherweise aber da wie dort. „Die Chefleute im Seekarhaus lassen uns in der Küche komplett freie Hand und sind extrem aufgeschlossen, was ungewöhnliche Produkte, Techniken oder neue Lieferanten angeht“, sagt er. Letztes Jahr hätten sie etwa einen 300 Kilogramm schweren Thunfisch ersteigert, „für das Geld kaufen sich andere Leute ein Auto, aber ihnen ist gutes Essen extrem wichtig, da ist kein Produkt zu teuer.“

Das Skelett des Monsterfischs ziert jetzt jedenfalls als Kunstwerk das Treppenhaus des Ateliers. Apropos Kunst: Die spielt in Stefan Fischers Leben auch abseits der Küche eine enorme Rolle.

Der Name Atelier kommt ja nicht von ungefähr, betont er, weshalb er seine Freizeit unter anderem damit verbringt, Bilder zu malen, Skulpturen anzufertigen oder seine eigene Tableware zu töpfern. Letzteres Projekt ist ein Resultat des coronabedingten Lockdowns. „Das macht dich ja fertig, wenn du sieben Monate nix zu tun hast“, sagt er. „Und wegfahren konnten wir nicht, also haben wir unser Urlaubsgeld halt in einen Tonofen investiert und angefangen, Geschirr zu töpfern.“ Klappte anfangs übrigens weniger gut, weil sich Fischer und sein Team an Youtube-Lernvideos halten mussten, „aber jetzt ist schon cooles Zeug dabei, Saucièren und Butterdosen beispielsweise.“

„Die Zusammenarbeit mit heimischen Produzenten ist uns schon wichtig, aber wenn ein Produkt aus dem näheren Umkreis nicht die Qualität hat, die ich will und suche, dann ist es raus.“

Stefan Fischer

Jugend forscht

Wer im Team Atelier mitspielen möchte, sollte überhaupt ein wenig mehr mitbringen als profundes Küchenhandwerk. Allen voran: Mut, Experimentierfreude, kein ausgeprägtes Schlafbedürfnis, dafür aber einen besonders ausgeprägten Forscherdrang. Wenn Fischer und seine Mitstreiter gerade mal nicht am Herd stehen, trifft man sie im Wald, mit einem Spaten in der Hand in einem der zwei hauseigenen Kräutergärten, beim Schnapsbrennen, Essigansetzen, Mostmachen, Fermentieren oder Fischen am See.

Die Natur ist Fischers allergrößte Inspiration, ihre Gaben auf ganz neue, überraschende und höchst unkonventionelle Art und Weise in Szene zu setzen, ist sein allergrößter Antrieb.

Wie das aussehen kann, zeigt er mit Komponenten wie getrockneten, frittierten, in Kalzium eingelegten und somit durchsichtigen Buchenblättern. Oder mit seiner „falschen Avocado“, bei der es sich tatsächlich um einen gehäuteten Champignon handelt, der in Kerbel-Liebstöckel-Öl auf 70 °C temperiert, dann offen vakuumiert wird und am Ende in Farbe, Geschmack und Struktur tatsächlich extrem nah an einer Avocado dran ist.

Das kleine, grüne Wunderwerk mit Wow-Faktor ist übrigens Bestandteil eines Atelier-Gerichts, das mittlerweile schon Signature-Dish-Status erlangt hat. Unter dem schlichten Namen „Wolfgangsee“ bringt Stefan Fischer den See in Form von Selleriecreme auf den Teller, die Uferlinien bestehen aus Doldenblütencreme, Gurkensegmente, die falsche Avocado, Hibiskusgel, Reinankenrogen, Zitronenschnee, Kräutersponge, Gewürztagetes, Hibiskuskraut, Algenstaub aus Wolfgangsee-Seegras und eine am Salzstein gegarte Reinanke komplettieren das essbare Gemälde.

Angesichts der vielen Komponenten, die sich da vor einem auf dem Teller tummeln, fragt man sich naturgemäß, woher eine Küchencrew, die samt Chef aus gerade einmal drei Leuten besteht und die tagsüber das Restaurant im Erdgeschoss bespielt, die Zeit für derlei aufwendiges Mise-en-Place nimmt „Unsere Küche ist sehr arbeitsintensiv, das stimmt schon“, sagt Stefan Fischer. „Und hier muss auch wirklich jeder überall mit anpacken, motiviert sein und konzentriert bleiben, weil sonst schwimmen wir davon. Aber wenn der Spirit und der Teamgeist stimmen, dann ist das Extra an Arbeit keine Last, sondern eine Bereicherung, die uns Spaß und unsere Gäste glücklich macht.“

Immer schön locker bleiben

Dass die kulinarischen Grenzüberschreitungen im Atelier vom Gault Millau irgendwann vielleicht mit einer vierten Haube gewürdigt werden, darüber macht sich Fischer aktuell keine Gedanken. Vielleicht, sagt er, sei es sogar ganz gut, wenn es vorerst bleibe, wie es sei. „Die Crew hier hat einen Altersschnitt von 22 Jahren, und diesen jugendlichen Elan und die unverkrampfte Lust am Genießen wollen wir auch weiterhin rüber- und unserer Klientel näherbringen. Wir wollen und können auf hohem Niveau spielen, aber unsere Leichtigkeit und Lockerheit und Verspieltheit werden wir nicht aufgeben.“

©Fotos Transgourmet/Christian Maislinger

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